
Lieber Alexander, unter dem Pseudonym »Der Dunkle Parabelritter« kommentierst du die aktuellen Themen, die das Land bewegen – und das vor der Kamera. Das Hörbuch »Oststolz« hast du selbst eingelesen und dabei ausschließlich mit der eigenen Stimme gearbeitet. Was für eine Erfahrung war das für dich?
Das war das zweite Buch, dass ich einlesen konnte und es hat mir wieder große Freude bereitet. Vor der Kamera kommt ja doch einiges an Überarbeitung zusammen, auch wenn man authentisch ist. Es gibt Bilder, Schnitte, Musik – viele Ebenen, die die reinen Stimme unterstützen. Beim Einlesen eines Hörbuchs gibt es aber nur den Text und meine Stimme. Gerade bei den persönlichen, schmerzhaften Passagen – dem Tod meines Großvaters, den Erfahrungen mit Ausgrenzung, dem Scheitern – gab es keine visuellen Filter. Das wird sozusagen ganz roh und direkt präsentiert. Auch sich ein paar Monate, nach dem das Buch abgeschlossen ist, noch einmal hinzusetzen und intensiv Seite für Seite zu lesen – es notwendigerweise nochmal am Stück als ganzes Werk wahrzunehmen, und nicht Zeile für Zeile an jedem einzelnen Abschnitt zu basteln, das war sehr intensiv.
In deinem Text schreibst du über deine eigene Kindheit und das Aufwachsen in Nachwende-Ostdeutschland. Wie war es für dich, so einen persönlichen Text einzulesen?
Es war ehrlich gesagt eine Achterbahnfahrt. Einerseits war es heilsam. Bestimmte Erinnerungen, die ich aufgeschrieben hatte, noch einmal laut auszusprechen, gab ihnen eine andere Realität und half mir, sie endgültig einzuordnen. Bereits im Prozess des Schreibens sind immer wieder Fragmente aufgetaucht, die ich vorher gar nicht mehr memoriert zu haben glaubte. Andererseits war es auch brutal. Wenn man über Momente liest, in denen man sich als Kind allein und wertlos gefühlt hat oder über den Verlust von Menschen, die einem alles bedeutet haben, dann ist man für einen Moment wieder genau dort. Man spürt wieder die Enge in der Brust, die aufsteigende Wut oder die tiefe Trauer. Es gab Stellen, an denen ich eine Pause machen musste, weil mir die Stimme wegbrach. Aber genau diese schonungslose Ehrlichkeit war für mich der Kern des Projekts. Ich wollte nichts beschönigen und das Einlesen hat mich gezwungen, dieser Haltung bis zur letzten Silbe treu zu bleiben.
Am Anfang deines Hörbuchs sagst du, dass Erlebbarkeit Augenhöhe schafft. Was meinst du konkret damit?
Ich meine damit, dass die Debatten über Ost und West oft in einer Schieflage stattfinden. Sie sind abstrakt, voller Statistiken, Vorurteile und politischer Phrasen. Dabei spricht oft eine Seite, die sich als Norm begreift, über die andere Seite als Abweichung oder Problemfall. Das ist keine Augenhöhe. Wenn ich aber meine ganz persönliche, konkrete Geschichte erzähle – von meiner Mutter, deren Abschluss plötzlich nichts mehr wert war, von meinem Freund, der an der Perspektivlosigkeit zerbrach, vom Gefühl, als Kind wegen meines Dialekts oder meiner Herkunft belächelt zu werden –, dann werden abstrakte Probleme zu einer erlebbaren, menschlichen Erfahrung. Ein Hörer aus Stuttgart kann vielleicht nicht nachvollziehen, wie sich die Treuhandpolitik angefühlt hat, aber er kann das Gefühl von Ungerechtigkeit, von Verlust und von Wut nachvollziehen. Durch diese geteilte emotionale Erfahrung, diese Erlebbarkeit, entsteht Empathie. Und Empathie ist die Grundvoraussetzung, um aus einem hierarchischen Urteilen übereinander zu einem echten Dialog auf Augenhöhe zu kommen.
Laut einer Statistik, die du zitierst, sagen 65 Prozent der jungen Ostdeutschen, es gäbe Unterschiede zwischen Ost und West, in der entsprechenden West-Kohorte sind es nur 32 Prozent. Ost-West-Konflikte nehmen 61 Prozent wahr, im Westen sind es nur noch 16 Prozent. Was denkst du, woran liegt das?
Für Westdeutsche, gerade für die jüngeren, ist ihre Lebensrealität der gesamtdeutsche Standard. Sie müssen sich nicht als »Westdeutsche« definieren, sie sind einfach »Deutsche«. Die Unterschiede zum Osten sind für sie oft nur eine ferne, abstrakte Information, die ihren Alltag nicht berührt. Für uns Ostdeutsche hingegen ist der Unterschied eine ständig präsente, gelebte Erfahrung. Wir spüren ihn in den niedrigeren Löhnen und Renten, wir sehen ihn in den fehlenden ostdeutschen Führungskräften, wir hören ihn in den medialen Klischees und wir fühlen ihn in der Notwendigkeit, unsere Herkunft oft erklären oder sogar rechtfertigen zu müssen. Es ist ganz einfach: Man spürt eine Mauer nur dann wirklich, wenn man ständig davorsteht oder versucht, darüber zu klettern. Wenn man aber ohnehin auf der »richtigen« Seite der ehemaligen Mauer geboren wurde, nimmt man sie kaum noch als Hindernis wahr. Die Wahrnehmung des Konflikts ist eine direkte Folge der erlebten Benachteiligung und der fortwährenden Definitionsmacht des Westens.
In deinem Hörbuch plädierst du dafür, stolz auf die ostdeutsche Herkunft zu sein und sprichst damit die junge Generation an. Wem würdest du sonst dein Hörbuch empfehlen?
Man würde jetzt denken, dass es sich in erster Linie an Ostdeutsche richtet (und natürlich sind sie auch ein Publikum). Ich versuche diese diffuse Frustration ein etwas Produktives umzulenken, denn die bereits überwundenen Hürden zeigen ja: Die Situation ist nicht aussichtslos. Aber die wichtigste Zielgruppe sind eigentlich die Westdeutschen. All jene, die das Gefühl haben, die Kluft in unserem Land wächst, die die Wahlergebnisse im Osten nicht verstehen und die über die üblichen, vereinfachenden Erklärungen hinausblicken wollen. Denn Ziel des Buches ist, diese »Exotisierung« eines »Ostproblems« zu beenden – weil das der Lösung im Weg steht. Die Probleme die wir hier haben, die gibt es auch im Westen - sie sind hier aber flächendeckend sichtbarer.
Danke, lieber Alexander!