
Liebe Vea, in »Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels« erzählst du die Geschichte von Angelika Moser, einer Frau, die über mehrere Jahre Rechnungen im Hotel manipuliert hat. Wie bist du auf das Thema gekommen?
Kurz vor der Geburt meines ersten Kindes las ich in der Gratis-Zeitung davon, dass die Buchhalterin des berühmten Wiener Hotels Sacher über zwei Jahrzehnte hinweg ihrem Arbeitgeber circa 4 Millionen Euro stahl. Betrug geschieht leider häufig, doch ihre Rechtfertigung fand ich faszinierend: Sie meinte vor Gericht, es wäre infolge von »falsch verstandener Mutterliebe« passiert. Ihr Sohn hatte Probleme und habe das Geld gebraucht. Ein Teil von mir konnte das gut nachvollziehen: Ich hatte mein Kind noch nicht einmal kennengelernt und wusste bereits, dass ich alles für sein Wohl tun würde. Ein Teil von mir dachte darüber nach, wie es so weit kommen kann, dass ein Mensch überhaupt so viel mehr Geld als er verdient, verbrauchen kann, ohne dass es das Umfeld merkt. Und aus Verständnis, Faszination und Interesse entstand dieser Roman.
Die Passagen, in denen du deine Begegnungen mit Angelika Moser beschreibst, hast du selbst eingelesen. Wie war es für dich, dich mit dem eigenen Text im Hörbuchstudio auseinanderzusetzen?
Da mir das Vorlesen meiner Texte fast mehr Spaß macht, als sie zu schreiben, war es natürlich ein großes Privileg, einen Teil des Hörbuchs selbst einlesen zu dürfen. Der Gedanke, dass nicht nur meine Geschichte, sondern auch meine Stimme die Leute beim Autofahren oder im Fitnessstudio unterhält, ist schon großartig.
Angelika Moser lässt sich nicht eindeutig moralisch beurteilen: Einerseits begeht sie Betrug, andererseits tut sie das zum guten Zweck und wir als Hörer:innen empfinden für sie Empathie. Inwiefern ist diese Ambivalenz für die Geschichte von Bedeutung?
Für mich lebt jede gute Geschichte von Ambivalenz, denn eine gute Geschichte lädt den Leser oder die Leserin ein, sich selbst ein Werturteil zu bilden, selbst eine Meinung zu entwickeln. Es gibt nichts Schlimmeres als moralisch eindeutige Romane. Das empfinde ich selbst als langweilig, denn das Leben ist nie moralisch eindeutig. Wir alle haben unsere Schattenseiten und unsere Qualitäten – dass wir nie nur selbstlos und brav sind, macht das Leben ja erst interessant.
Der Schauplatz des Romans ist das Wiener Grand Hotel Frohner. Was symbolisiert der Ort und warum hast du ihn für deine Geschichte ausgewählt?
Hotels waren lange ein wichtiger Teil meines Lebens. Zwischen dem Erscheinen meines ersten Romans 2012 und der Pandemie hielt ich über 500 Lesungen zwischen Mexiko-Stadt und Japan. Ich war acht Jahre lang on tour und fühlte mich im Hotel mehr zu Hause als in meiner Wohnung. Die war leer und kalt, während ich in Hotels willkommen geheißen und umsorgt wurde. Irgendwann merkte ich, dass Traditionen und Identität einer Stadt eigentlich nirgendwo so bewahrt und hochgehalten werden wie in Hotels. Die haben schließlich die Aufgabe, den Reisenden in kurzer Zeit zu helfen, an dem Ort anzukommen, an dem sie aus verschiedenen Gründen gelandet sind. Hotels sind Sehnsuchtsorte, Kristallisationspunkte von Geschichte und Gesellschaft, Bühnen für das große Glück und das kleine Drama. Weltgeschichte hat sich in Hotels abgespielt. Das hat mich schon immer fasziniert. Einen Roman in einem Hotel spielen zu lassen, konnte ich aber erst, als mich die Pandemie plötzlich nach Hause zwang. Und dann begann ich, mich mit der Wiener Hotellerie auseinanderzusetzen: einer der besten der Welt. Die Wiener Hotels sind ein Wahrzeichen wie Riesenrad und Stephansdom, nur dass sie weit interessanter sind als diese fade Praterattraktion oder die kalte Kirche: In den Wiener Hotels spielen sich bis heute die spannenderen Geschichten ab, und das Grand Hotel Frohner ist nun eine Art »Best of« davon. Wahrscheinlich ist diese Stadt nirgendwo so sehr sie selbst wie in den großen Häusern am Ring, die ich auch als in Wien lebende Wienerin gern aufsuche, wenn ich ein bisschen mehr Wiener Luft in den Lungen brauche. Dort ist der Plüsch richtig rot und die Luster poliert, die Ober der Welt enthoben und die vergangene Zeit so lebendig, wie sie tot ist.
Den Humor, den Denis Scheck mal als »überschäumende Komik« bezeichnet hat, spielt in deinen Geschichten eine große Rolle. Worin besteht deiner Meinung nach ein guter Witz?
Wichtig für einen guten Witz finde ich persönlich, dass er überrascht und unterhält, ohne auf jemandes Kosten zu gehen (Ausnahme: auf Kosten des Witzeerzählers selbst). Humor ist grundsätzlich etwas sehr Flexibles. Was wir lustig finden, hängt davon ab, wann und wo wir aufgewachsen sind, aber auch von unserer Persönlichkeit. Bis heute muss ich nicht lachen, sondern weinen, wenn ich Mr. Bean sehe – die britische Comedy-Serie von Rowan Atkinson. Ich verstehe nicht, was am Unglück dieses Menschen lustig sein soll. Dafür bringen mich wiederum viele Dinge zum Lachen, die mein deutscher Lektor wiederum »grauslich« fand. Wir Wiener haben einen eher makaberen, abseitigen Humor, viele Witze haben mit Tod und Untergang zu tun. Meine Aufgabe als deutschsprachige Autorin ist aber auch, Witze zu erschaffen, die über die Stadtgrenzen hinaus funktionieren, sozusagen den Nicht-Wienern helfen, die Wiener Schmähs auch lustig zu finden und nicht nur makaber.
Der Roman steckt voller kleiner, lebensechter Details, wie etwa die Beschreibung von Wiener Lokalen oder des Hotelbetriebs. Welche Rolle spielen diese Details für den Aufbau der Atmosphäre und wie lange dauert es, so eine Geschichte zu schreiben?
Nach der Arbeit an meinem Roman habe ich ein Drehbuch geschrieben und staunte, wie schnell das geht: In einem Drehbuch muss man schließlich nicht beschreiben, wie ein Lokal oder ein Zugabteil aussieht. Das fand ich zunächst entspannend, dann traurig, denn man gibt dadurch die Kontrolle ab: Das Set-Design und der Regisseur, Kamera und Post-Produktion entscheiden beim Film, was die Zuschauer:innen sehen – im Roman jedoch entscheide ich als Autorin, was meine Leser:innen vor ihrem inneren Auge sehen und was nicht. Das zu recherchieren, sich zu überlegen und dann gut zu beschreiben, dauert natürlich. An diesem Roman schrieb ich drei Jahre lang fast jeden Tag, aber das musste sein, damit die Leser:innen nun in einen funkelnden, funktionierenden Kosmos eintauchen können. Ich hoffe, sie haben Spaß dabei. Ich habe mir als Reiseführerin in jedem Fall die größtmögliche Mühe dafür gegeben.
Vielen Dank, liebe Vea!